In Amsterdam wurde das Nationaal Holocaustmuseum eröffnet (2024)

Die Gebäude beidseits der Plantage Middenlaan waren realer Schauplatz der Shoah in Amsterdam. Das Architekturbüro Office Winhov macht nun diesen historischen Ort sichtbar, verzichtet dabei aber auf spektakuläre Inszenierungen.

Hubertus Adam, Amsterdam

4 min

Drucken

In Amsterdam wurde das Nationaal Holocaustmuseum eröffnet (1)

«Niemals wieder» beginne jetzt, mahnte der israelische Staatspräsident Jitzchak Herzog am 10.März in der Portugiesischen Synagoge, einem imposanten Barockbau im Osten der Innenstadt von Amsterdam. Im Inneren: die Feierstunde zur Eröffnung des Nationalen Holocaustmuseums der Niederlande unter Teilnahme von Überlebenden der Shoah; draussen wütende propalästinensische Aktivisten, die gegen den Besuch Herzogs und Israels Vorgehen im Gazastreifen protestierten.

Das Nationaal Holocaustmuseum befindet sich nur wenige Schritte entfernt an der Plantage Middenlaan. Steinblöcke schützen die Gedenkorte auf beiden Seiten der Strasse, eine in Zeiten des wachsenden Antisemitismus notwendige, wenn auch bittere Realität. Das in Amsterdam ansässige Architekturbüro Office Winhov, das in Zürich auch an der Neubebauung des Freilager-Areals beteiligt war, hat die historischen Gebäude subtil umgestaltet: einerseits das Theater Hollandsche Schouwburg und anderseits eine frühere Berufsbildungsschule für Lehrer.

Es sind die realen Orte des Holocaust in der niederländischen Kapitale. Das Architekturbüro hat allerdings auf spektakuläre Inszenierungen verzichtet, wie sie etwa Daniel Libeskind 2021 – gewissermassen in Nachfolge des Jüdischen Museums Berlin – mit dem Holocaust-Namensmonument an der nahen Weesperstraat umgesetzt hat. Die Interventionen von Office Winhov geben sich subtil und zurückhaltend. Wären da nicht diese Steinblöcke auf dem Trottoir, man könnte die Gedenkorte fast übersehen. Die Shoah ereignete sich allerdings nicht anderswo, sondern genau hier, inmitten des städtischen Alltags.

Vom Theater zur Gedenkstätte

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurden die Niederlande zu einem der Fluchtziele deutscher Juden. Angesichts der antisemitischen Ressentiments im eigenen Land sowie der wirtschaftlichen Krisensituation verhielt sich die Regierung lavierend und verstand sich eher als Transit- denn als Zufluchtsland. Das ambivalente Verhalten gegenüber den Schutzbedürftigen endete mit dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht im Mai 1940.

Sukzessive wurden Juden vom öffentlichen Leben ausgeschlossen. Vom Sommer 1942 bis zum Herbst 1943 erfolgten die Deportationen über das niederländische Durchgangslager Westerbork in die Konzentrations- und Vernichtungslager Bergen-Belsen, Theresienstadt, Sobibor und Auschwitz. 102000 der 140000 Juden, die das Land zu Beginn der deutschen Invasion zählte, wurden Opfer des Holocaust.

Drehscheibe für die Deportation in Amsterdam war die Hollandsche Schouwburg in der Plantage Middenlaan, eine Spielstätte aus dem ausgehenden 19.Jahrhundert, die nach der Okkupation zunächst als jüdisches Theater genutzt wurde, bevor sie als Sammelstelle der jüdischen Bevölkerung diente. Nach dem Zweiten Weltkrieg fiel die Entscheidung, das Theater in eine Gedenkstätte umzuwandeln.

Nach Plänen von Jan Leupen, dem Chefarchitekten der städtischen Baubehörde, blieb die Theaterfront in der Achse der Plantage Middenlaan erhalten, während Zuschauersaal und Bühnenhaus weitgehend abgerissen wurden. In der Ruine erinnert ein Obelisk seit 1962 an die Ermordeten. Das Architekturbüro Office Winhov hat die in die Jahre gekommene Gedenkstätte nur leicht überholt: den Hof gepflastert, die beidseitige Pfeilerarkade stirnseitig geschlossen und die Fassade wieder mit dem Anstrich der Jahre 1942/43 versehen.

In Amsterdam wurde das Nationaal Holocaustmuseum eröffnet (2)

Die Gebäude auf der anderen Strassenseite waren ebenfalls mit dem Holocaust verbunden. Aufgrund der katastrophalen Überbelegung im ehemaligen Theater hatten die NS-Verantwortlichen kleine Kinder von ihren Eltern getrennt und gegenüber in einer ehemaligen jüdischen Kinderkrippe untergebracht.

Deren Leiterin Henriëtte Pimentel gelang es mithilfe von Personen aus dem Widerstand, 600 Kinder aus dem Gebäude zu schmuggeln, mit einer neuen Identität zu versehen und auf diese Weise zu retten. Über einen Zaun gelangten sie auf das benachbarte Gelände der Berufsschule und wurden dann aus dem Gebäude gebracht, wenn ein vor dem Haus haltendes Tram den gegenüber postierten Wachmannschaften den Einblick verwehrte.

Subtile Inszenierungen

Die Kinderkrippe existiert nicht mehr, an ihrer Stelle befindet sich das Hubertushuis des Architekten Aldo van Eyck von 1978, ursprünglich ein Mutter-und-Kind-Heim, das heute als Hotel dient. Die Schule hingegen besteht noch, war aber 1952 in ein Bürogebäude umgebaut worden. Die Strategie von Office Winhov beruht darauf, den Charakter der Schule wieder sichtbar werden zu lassen. Die entfernten Giebel wurden in Backstein nachgebildet – sie fügen sich in das Strassenbild ein, doch auf den zweiten Blick erkennt man, dass es sich nicht um Rekonstruktionen, sondern um freie Adaptionen handelt.

Der einzige wirkliche zur Strasse hin sichtbare Neubauteil ersetzt das frühere Direktorenhaus zwischen Schule und Kinderkrippe. Office Winhov wählte einen hellen Klinker für das Volumen, das Eingang, Sicherheitsschleuse, Kassenbereich und das Treppenhaus beherbergt und nach aussen mit einem filigranen, nachts hinterleuchteten Filtermauerwerk in Erscheinung tritt. In der Tiefe des Grundstücks wurde ein weiterer Baukörper errichtet, der Platz für Wechselausstellungen bietet und auch ein Auditorium umfasst.

Seitlich blickt man auf eine Mauer zum Nachbargrundstück – es ist jener Ort, an dem einst die Kinder über den Zaun gereicht wurden. Die Räume sind licht, hell und offen; die Gestaltung der Ausstellung der Szenografiebüros Opera Amsterdam und Studio Louter gibt sich zurückhaltend und findet die richtige Balance zu Architektur und Ort. Damit widerstanden die Beteiligten der Versuchung, düstere Themen auch düster zu inszenieren. Aus gutem Grund: Was hier geschah, auf beiden Seiten der Strasse, geschah nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit und nicht klandestin, sondern am helllichten Tag.

In Amsterdam wurde das Nationaal Holocaustmuseum eröffnet (3)

Die Kinderrettung an der Plantage Middenlaan war eine Meisterleistung des niederländischen Widerstands. Doch dieser war wie auch anderswo begrenzt. Diese Feststellung bricht mit der Darstellung eines kollektiven Widerstands gegenüber dem deutschen Aggressor, wie sie lange das Selbstverständnis des Landes geprägt hatte. Wie die schrittweise Ausgrenzung und Entrechtung der jüdischen Bevölkerung sich in den Niederlanden ereignete, wird in den oberen Ausstellungsebenen minuziös und anschaulich dargelegt.

Das wirft bittere Fragen auf – nämlich die nach Verantwortlichkeit. Umgesetzt wurden die Verordnungen der deutschen Besetzer von ortsansässigen Kräften. Ignoranz, Kollaboration und Denunziation waren die Folge. Angesichts stark wachsender antisemitischer Tendenzen auch in den einst als liberaler Musterstaat geltenden Niederlanden ist das Nationaal Holocaustmuseum leider von erschreckender Aktualität.

Passend zum Artikel

Neues Gebetszentrum am Golf: die Dreifaltigkeit von Abu Dhabi Im Abrahamic Family House in Abu Dhabi können seit neuestem Juden, Christen und Muslime nebeneinander beten. Die Herrscher am Golf haben erkannt, dass Toleranz nicht zuletzt auch gut fürs Geschäft ist.

Daniel Böhm, Abu Dhabi

5 min

Leuchtende Unterwäsche empfängt die Besucher im Foyer: Das neue Gebäude vom Kunsthaus Baselland ist so abstrakt wie die Kunstwerke darin Die erste Ausstellung im neuen Standort auf dem Dreispitzareal in Münchenstein holt viel heraus aus der umgebauten Halle, wo einst Champagner lagerte.

Andres Herzog

5 min

Afrika als Laboratorium der Zukunft – auf der Architekturbiennale in Venedig geht es um den Schwarzen Kontinent Die Hauptausstellung der schottisch-ghanaischen Architektin und Schriftstellerin Lesley Lokko versucht Negativklischees zu Afrika zu vermeiden und erinnert schon fast an eine Kunstausstellung.

Hubertus Adam, Venedig

5 min

In Amsterdam wurde das Nationaal Holocaustmuseum eröffnet (2024)
Top Articles
Latest Posts
Article information

Author: Terence Hammes MD

Last Updated:

Views: 5897

Rating: 4.9 / 5 (49 voted)

Reviews: 80% of readers found this page helpful

Author information

Name: Terence Hammes MD

Birthday: 1992-04-11

Address: Suite 408 9446 Mercy Mews, West Roxie, CT 04904

Phone: +50312511349175

Job: Product Consulting Liaison

Hobby: Jogging, Motor sports, Nordic skating, Jigsaw puzzles, Bird watching, Nordic skating, Sculpting

Introduction: My name is Terence Hammes MD, I am a inexpensive, energetic, jolly, faithful, cheerful, proud, rich person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.